Hintergrund

Neue Narrative für alte Technik- Wie können wir alte & gebrauchte Geräte wieder mehr wertschätzen?

Zur Förderung von langen Nutzungsdauern ist es wichtig, dass gebrauchte Geräte nicht abgewertet werden und ein neues Gerät als wertvoller und begehrenswerter erscheint. Dazu gehört nicht nur, dass ein Gerät weniger schnell abgenutzt und verschlissen wirkt, gleichzeitig sollten die mit der Nutzung verbundenen sozialen Bedeutungen, die Kompetenzen der Nutzenden und die Kontexte des Konsums in den Blick genommen werden.

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Bisherige Wahrnehmung: Neue Geräte sind besser als alte

In unseren Studien haben wir herausgefunden, dass es über den Nutzungszeitraum hinweg zu einer sukzessiven Abwertung des aktuellen Gerätes kommt. Diese wahrgenommene Abwertung des alten Gegenstandes (im Vergleich zu einem neuen Gegenstand) entsteht durch Abnutzung, Teildefekte und damit verbundenen Bedeutungen (Angst vor Ausfällen, Ärger über erhöhten Pflegeaufwand etc.). Parallel dazu passiert eine entgegengesetzte Aufwertung eines begehrenswerten neuen Gerätes mit Eigenschaften, die attraktiver erscheinen (ergänzende Funktionen, Effizienz, Design, symbolische Bedeutungen etc.). Der Austausch der Geräte wird oft durch eine konkrete Gelegenheit veranlasst, wie eine Neuerscheinung auf dem Markt, ein Sonderangebot oder ein Geschenk.

Alte Geräte wertschätzen durch verbesserte Konstruktion der Geräte

Im Hinblick auf das Produktdesign ist neben der Robustheit insbesondere die Reparierfähigkeit wichtig, was sich auch in der Verfügbarkeit von Bauanleitungen, Ersatzteilen und entsprechenden Serviceangeboten zeigt. Darüber hinaus ist im Sinne einer Kreislaufwirtschaft ein modulares Design vielversprechend: Hier können defekte Bauteile ausgetauscht und durch „Platz für Neues“ neue Module auch im Nachhinein ergänzt werden [1][2] .

Alte Geräte wertschätzen durch neue soziale Bedeutungen

Auch in der gesellschaftlichen Wahrnehmung sollte die Wertigkeit von älteren und gebrauchten Geräten erhöht werden, was beispielsweise durch im Recht verankerte verlängerte Gewährleistung , Garantien und zusätzliche Produktversicherungen erfolgen könnte. Die zugesprochene Wertigkeit hängt auch mit der erwarteten Lebensdauer zusammen: Wenn ich weiß, dass mein Gerät über 20 Jahre halten wird, dann spreche ich dem Gerät mehr Wert zu, als wenn es nur ein Jahr halten soll. Jedoch gibt es diesbezüglich auch große Unterschiede zwischen einzelnen Personen [3] . Die Gewissheit, dass ein Gerät eine hohe Lebensdauer hat, kann den wahrgenommenen Wert erhöhen, auch für eine mögliche Zweit- oder Drittnutzung durch andere. Denn ob Geräte verkauft oder im privaten Umfeld verschenkt werden, hängt nach den Ergebnissen unserer Studie zur Nutzungsdauer elektronischer Geräte von dem wahrgenommenen Wert ab. So wurde eine sieben Jahre alte, funktionierende Waschmaschine weggeworfen, als sie nicht mehr gebraucht wurde, weil der Nutzer meinte, dass ohnehin niemand solch ein altes Gerät kaufen würde. Unsere Interviews zeigen zudem generelle Vorbehalte gegenüber gebrauchten Geräten. Diese Wahrnehmung erschwert - neben der einfachen Verfügbarkeit und Allgegenwärtigkeit neuer Produkte - die Förderung der Wertschätzung. Daher ist es wichtig, auch die Attraktivität des Neuen im Blick zu behalten und herauszustellen, was die Vorteile von Gebraucht gegenüber Neu sind.

Alte Geräte wertschätzen durch verbesserte Pflege- & Reparatur-Kompetenzen

Zusätzlich kann das Wissens über die zu erwartende Lebensdauer von Elektronikgeräten auch lebensdauerverlängernde Praktiken der Produktpflege begünstigen. Denn wenn eine Person weiß, dass ihr Gerät grundsätzlich noch lange halten wird, wird sie sich eher um eine regelmäßige Wartung oder Pflege kümmern. Bei dem eigenen Auto ist eine regelmäßige Wartung und Pflege für viele Menschen normal oder sogar vorgeschrieben, bei anderen Besitztümern fehlt diese Routine noch. Um die Aufmerksamkeit für dieses Thema zu erhöhen, kann eine Information über die erwartete Lebensdauer der Geräte, beispielsweise über eine Herstellergarantieaussagepflicht, signifikant beitragen. Auch könnten auf dem Gerät selbst wichtige Informationen zur Produktpflege klar verständlich und unübersehbar vermittelt werden ("pflegeförderndes Design"). Die Kompetenzen der Nutzenden spielen an verschiedenen Stationen des Nutzungszyklus eine Rolle. Dazu gehört beispielsweise die sachgemäße Benutzung und auch die Kompetenz, bei (Teil-) Defekten entscheiden zu können, inwieweit sich eine Reparatur lohnt oder sogar selbst durchgeführt werden kann. Und allgemein gilt: Nicht jede*r Einzelne muss alles wissen, denn im Alltag suchen sich viele Menschen praktische Hilfe in ihrem Umfeld. Die Schwarm-Intelligenz ist daher wichtig.

Alte Geräte wertschätzen durch Zweit- & Drittnutzung

Möglichst lange Lebensdauern lassen sich auch durch das Aneinanderreihen vieler kurzer Nutzungsdauern erreichen. Sofern gebrauchte Geräte weitergegeben werden, müssen kurze Nutzungsdauern nicht unökologisch sein. Durch Refurbishing von gebrauchten Geräten und zusätzliche Garantien könnten auch bereits genutzte Geräte aufgewertet werden.

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Literatur/Quellen

[1] Aziz, N.A. & Abd Wahab, Dzuraidah & Ramli, Rizauddin. (2015). Modelling and Optimisation of Upgradability in the Design of Multiple Life Cycle Products: A Critical Review. Journal of Cleaner Production. 112. 10.1016/j.jclepro.2015.08.076.

[2] Proske, Marina / Jaeger-Erben, Melanie (2019): Decreasing obsolescence with modular smartphones? – An interdisciplinary perspective on lifecycles, Journal of Cleaner Production, Volume 223, Pages 57-66,

[3] Jaeger-Erben, Melanie / Hipp, Tamina (2018): Geplanter Verschleiß oder Wegwerfkonsum? Verantwortungsdiskurse und Produktverantwortung im Kontext kurzlebiger Konsumgüter. In: Buschmann, Nikolaus / Henkel, Anna / Hochmann, Lars / Lüdtke, Nico (Hg.) (2018): Reflexive Responsibilisierung. Verantwortung für nachhaltige Entwicklung . Bielefeld: transcript, S. 373-394.

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