Hintergrund

Symbolische Obsoleszenz

Unter "symbolischer Obsoleszenz" verstehen wir vor allem einen zunehmenden Bedeutungsverlust von Gegenständen für ihre Nutzer*innen, durch den diese immer weniger genutzt und schließlich ersetzt werden. Das kann zum Beispiel an sich verändernden Trends und Moden liegen, oder auch daran, dass der Gegenstand selbst nicht mehr schick genug aussieht, um als Statussymbol zu taugen.

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In vielen Beiträgen zur Obsoleszenz wird dies auch "psychologische Obsoleszenz" genannt, was aber zu kurz greift. Denn es ist nicht die "Psyche", die hier die entscheidende Rolle spielt, sondern der symbolische Wert, den ein Gegenstand in einer Gesellschaft hat und wie sich Menschen auf dieser Symbole miteinander vergleichen. Wir schauen uns im Folgenden ein paar Beispiele und Ursache für symbolische Obsoleszenz an.

Das "Neue" als soziale Norm

Etwas Neues zu erwerben oder zu besitzen, kann Menschen positive Gefühle vermitteln. Der Glaube, dass das Neue besser ist als das Alte, geht oftmals auch mit verkürzten Nutzungsdauern einher: Je wichtiger es für eine Person ist, up to date zu sein, desto schneller werden beispielsweise Smartphones und Waschmaschinen ausgetauscht[1].

Ein Motiv hinter dieser Orientierung am Neuen kann die Verpassensangst sein. Gemeint ist damit die Angst davor, dass andere eine belohnende Erfahrung machen, an der man selbst nicht beteiligt ist. Hat jemand im Freundeskreis ein cooles, neues Smartphone oder ständig neue Klamotten, können andere befürchten, den technologischen Wandel zu verpassen. Auch die erhöhte Aufmerksamkeit anderer für die neueste Errungenschaft möchten manche nicht verpassen.

Solchen Prozessen liegen oft soziale Normen zugrunde, das heißt allgemein anerkannte Regeln und Orientierungen für das soziale Miteinander, die als Leitlinien für das eigene Handeln dienen. Soziale Normen können nachhaltiges Handeln fördern, wie zum Beispiel beim Recycling von Plastik. Wenn eine soziale Norm aber beinhaltet, dass Gebrauchsgegenstände häufig ausgetauscht werden, kann diese Regel umweltschädliches Handeln begünstigen. Wer das neueste Smartphone hat, zeigt sich dann im Einklang mit dem, was von vielen als erstrebenswert erachtet wird. Wer hingegen ein gebrauchtes, nicht mehr modern angesehenes Gerät behält, fällt eher negativ auf. Demgegenüber kann es aber auch Normen geben, die Langlebigkeit von Gebrauchsgegenständen fördern: Oldtimer, Musikinstrumente oder Antiquitäten werden insbesondere wegen ihres Alters wertgeschätzt. Sie sind erst durch die lange Nutzung wertvoll geworden. Was könnten Normen der Langlebigkeit sein, die für Elektronikgeräte gelten?

Der Framing-Effekt oder die Rolle von Erwartungen

Ob ein Gegenstand als veraltet angesehen wird, hängt auch mit den generellen Erwartungen zusammen, die Menschen in Bezug auf die "normale" Lebensdauer von Geräten haben. Diese Erwartungen setzen einen Rahmen für die Bewertung: "Ist das noch gut, oder kann das weg?" Wird beispielsweise angenommen, dass Smartphones nach zwei Jahren veraltet sind, ist es unwahrscheinlich, dass das Gerät repariert wird, wenn es nach 1,5 Jahren einen Defekt aufweist. Die Reparatur würde als ein Verlust wahrgenommen werden. Wenn eine Person dagegen annimmt, dass Smartphones acht Jahre halten können, ist die Bereitschaft zur Reparatur bei einem 1,5 Jahre alten Gerät wesentlich größer. Die hohe Erwartung an die Lebensdauer lässt die Reparatur in einem positiven Licht erscheinen.

Dieser sogenannten "Framing-Effekt" ist für viele Alltagsbereiche gut bewiesen. Im Bereich Elektronikprodukte muss dabei zwischen Produktkategorien unterschieden werden. Die Erwartungen an eine Waschmaschine sind sicher höher als an einen Laptop. Doch wie werden diese Erwartungen geformt? Da es für die wenigsten Elektronikgeräte konkrete Lebensdauerangaben gibt, sorgen beispielsweise die auf schnelle Schnäppchen ausgerichteten Strategien des Handels und häufige Modellwechsel für eher geringere Lebensdauerwartungen.

Der Diderot-Effekt

Der Diderot-Effekt beschreibt, dass ein neu angeschaffter Gegenstand den Drang auslösen kann, weitere Dinge im eigenen Besitz mit solchen zu ersetzen, die zu dem neuen Gegenstand passen. Ein neues Smartphone kann jemanden beispielsweise dazu veranlassen, die Armbanduhr durch eine Smartwatch zu ersetzen, was wiederum das Tablet veraltet erscheinen lässt und vielleicht wäre es auch mal an der Zeit, den Fernseher zu ersetzen?

Der Kauf von etwas Neuem kann das Gefühl auslösen, unbedingt weitere Dinge anschaffen zu müssen. Er schmälert den symbolischen Wert der bereits besessenen Gegenstände, denn das Neue überstrahlt alles. Der neue Gegenstand ist wie eine Erschütterung der alten Harmonie. Weil der Gegenstand aber höherwertig eingestuft wird als die bereits vorhandenen Dinge, löst er große Unzufriedenheit und eine Kettenreaktion aus. Der französische Schriftsteller und Philosoph Denis Diderot ist verantwortlich dafür, dass der Diderot-Effekt seinen Namen trägt. In einem kurzen Essay aus dem Jahr 1772 schildert er seine persönlichen Erfahrungen. Der Titel des Essays: „Gründe, meinem alten Hausrock nachzutrauern. Eine Warnung an alle, die mehr Geschmack als Geld haben.“

Die komplette Studie (2021)

Nutzungsdauern elektronischer Geräte zwischen Anspruch und Wirklichkeit - Ergebnisse einer Repräsentativerhebung zu lebensdauerrelevanten sozialen Praktiken von Nutzer*innen in Deutschland

Die vorliegende Repräsentativerhebung bietet Daten für den Raum Deutschland zu den Themen Nutzungsdauer, Geräteausstattung, sowie Wahrnehmungen und Praktiken zum Umgang mit Smartphones und Waschmaschinen über die Phasen der Produktnutzung hinweg. Diese sollen zum einen den Status Quo zeigen, sind für die Arbeit der Forschungsgruppe aber auch im Kontext der Forschung für Nachhaltigkeit interessant. Daher lassen sich die Daten auch vor dem Hintergrund einer normativen Nachhaltigkeitsperspektive betrachten: Welche Potentiale für nachhaltigen Konsum im Sinne langer Nutzungs- und Lebensdauern liegen vor, welche Veränderungsbedarfe oder –potentiale finden sich vor diesem Hintergrund? Im Fazit sollen einige Schlaglichter auf diese Fragen geworfen werden.

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